Der deutsche Entbuscher

2022, Ende Mai, war unser Brunnen leer. Im Mai hatte es keinen Tropfen geregnet und wir verloren Unmengen unseres Wassers, ohne es zu bemerken. Italien litt unter der großen siccità, der Po war nicht mehr schiffbar.

2023 regnete es im Mai beinahe jeden Tag und wir achteten auf die Geräusche unserer Pumpe. Der Regen und die Sonne führen dazu, dass alles Grüne im Garten in die Höhe schoss. Es wurde Zeit zu mähen. Viel zu mähen. Genau wie unsere Nachbarn rundum. So wie man das macht.

Wir besaßen bereits einen elektrischen „Decespugliatore“. In diesem Wort verborgen ist „cespugli“, die Pluralform von „Busch“. Eine freie Übersetzung wäre also „Entbuscher“. Auf deutschen Webseiten werden diese Geräte „Rasentrimmer“ genannt, Rasen findet man hier in den umbrischen Hügeln aber nicht.

Unseren Elektro-Entbuscher habe ich gekauft, als ich noch jung und naiv war. Also letztes Jahr. Jetzt aber brauchten wir ein größeres Kaliber, denn das Gras wuchs jeden Tag fünf bis zehn Zentimeter. Wir benötigten genauso ein Gerät wie Mirco, unser Nachbar. Einen Entbuscher, der mit einem Zweitakter läuft und zehn Kilo wiegt und laut ist und nach Benzin-Öl-Gemisch stinkt, weil man hier Stunden um Stunden mähen muss und nicht nur die 20 Minuten, die der Akku unseres Anfängergeräts hergibt.

Nach einer halben Stunde hatte ich auf Amazon.it ein Modell gefunden, dessen Leistung und Preis im richtigen Verhältnis zu sein schienen. 160 Euro, das konnten wir uns leisten. Also schickte ich Mirco den Link und fragte nach seiner professionellen Meinung.

Er antwortete in einer Kaskade von WhatsApp-Nachrichten, wie er das in seiner Gründlichkeit zu tun pflegt. Ich hatte einen Viertakter herausgesucht, der zwar leiser sei und weniger verbrauche, aber sehr pflegebedürftig und reparaturanfällig. Auch hätte er keine Erfahrung mit der Herstellerfirma, er rate mir zu einem „echten“ Entbuscher. Und die besten Gartenmaschinen baut – hierin ist man sich in Italien einig – die Firma Stihl. Aus Deutschland. Er riet mir zur „Stihl FS 120 R“. (Unbezahlte Werbung).

Ich antwortete: „Danke für deinen Rat, aber muss ich wirklich 480 Euro ausgeben?“. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, der Nachricht ein Tränen-Emoji anzuhängen.

„Warte mal, ich telefoniere einmal mit unserem Händler“, antwortete Mirco und am nächsten Tag hatte ich ein Angebot für nur 320 Euro. Das muss ein Schnäppchen sein, dachte ich und machte mich auf den Weg zur Firma Pietropaoli, Mircos Händler des Vertrauens.

Die Fahrt dauerte, wie auf mystische Weise alle Strecken hier, eine halbe Stunde. Ich fuhr durch das Städtchen Magione, bekannt für seine Platanenallee und berüchtigt für die willkürliche Verteilung seiner Einbahnstraßen. „Pietropaoli“ liegt verborgen am nördlichen Ende der Innenstadt und war nur erkennbar, weil die ganze Straße mit Transportern zugeparkt war. Das Geschäft ist vielleicht 150 Quadratmeter groß, ein Drittel davon nimmt eine Werkstatt ein, deren spärliches Dekor sich seit den Fünfzigern nicht geändert hat. Es war rappelvoll, alle redeten durcheinander, Motoren kreischten und tuckerten, mal hier und mal dort. Ich konnte nicht erkennen, wer hier Kunde war und wer der Pietropaolo, denn alle Anwesenden wirkten wie Mad-Max-Versionen deutscher Bilderbuchgärtner. Statt grünen Latzhosen tendiert die Gärtnermode im Frühling 2023 zu Camouflage, als Oberteil scheinen sich zerrissene Hemden oder verschmierte T-Shirts mit unlesbaren Drucken durchgesetzt zu haben.

Jemand erbarmte sich meiner, mit Jeans und weißem Hemd stach meine Hilflosigkeit ins Auge. Schnell war das reservierte Modell gefunden, wurde in der Werkstatt zusammengebaut und zur Probe durchgestartet. Ich wurde nicht in die Bedienung eingeführt, ich denke, das ist in Italien beim Gärtnerstudium Stoff im ersten Semester.

Das Ausfüllen der Garantie dauerte länger als der Probelauf, denn der verwendete PC wurde zeitgleich mit dem Dekor der Werkstatt angeschafft. Nach insgesamt einer Stunde war ich stolzer Besitzer eines echten Stihl-Geräts und fühlte mich der Einbürgerung einen großen Schritt näher. Die Anleitung war in Deutsch, Italienisch und Französisch, die deutsche Gerätebezeichnung lautet „Motorsense“ – now we‘re talking!

Am nächsten Tag stellte ich mich dem Gras, das mich stellenweise bereits überragte. Gummistiefel, Gärtnerverkleidung und Schutzvisier angezogen und Schallschutzkopfhörer, einen Gurt umgehängt, um den Entbuscher einzuhängen, das Gemisch gemischt und eingefüllt und das Gerät gestartet wie ein echter Mann.

Drei Stunden später war ich bereits am Ende meiner Kräfte und die ersten fünf Meter Nylonschnur verbraucht. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, damit er nicht in den Augen stach und betrachte mein Tageswerk: Ja, ich hatte wahrscheinlich Tonnen von Biomasse erzeugt und einige unserer Neuanpflanzungen wieder zugänglich gemacht. Ich hatte kein Rehkitz verscheucht, kein Bodenbrüternest und keine Schlange oder Eidechse zerstückelt – ich war stolz. Grob überschlagen könnte ich den Garten in vielleicht 20 mal drei Stunden mähen. Und dann wieder von vorne anfangen.

Vielleicht hatte die Dürre letztes Jahr nicht nur negative Seiten.

0 thoughts on “Der deutsche Entbuscher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert