Die Heldenreise nach Campbell ist nutzlos

Untertitel: „Luke Skywalker verdanken wir, dass die Heldenreise die Strickliesel des Entertainments ist“. Strickliesel? Kennt doch keiner. Nee, nochmal anders: „Warum viele Filme, Bücher oder Fernsehserien so langweilig sind, dass es genügt, nur den Trailer zu schauen“.

Eine Reihe mit Bildern von Andy Warhols berühmter "Campbell's Tomato Soup"
Joseph Campbell, nicht verwandt mit der gleichnamigen Suppe

Auch nicht gut. Fangen wir lieber direkt an: Wenn man die Kunst des Erzählens studiert, stößt man früher oder später auf Werke, die ein Muster entdeckt haben wollen und die Anwendung dieser Struktur für das Alpha und Omega aller Geschichten halten.

Sehr bekannt ist Christopher Voglers „The Writer’s Journey: Mythic Structure for Writers“, etwas flexibler Dan Harmons “Eight Step Story Circle“, am kreativsten ist „Into the Woods: How Stories Work and Why We Tell Them“ von John Yorke und „Blake Snyder’s Beat Sheet“ dürfte in Hollywood am meisten Anwendung finden. Ist am kürzesten.

Allen dieser – ausschließlich männlichen – Geschichtenerzähl-Lehrmeistern gemein ist, dass sie sich auf Joseph Campbell berufen, der 1949 ein Buch geschrieben hat mit dem Namen „The Hero with a Thousand Faces“, welches sofort nach seinem Erscheinen von Folkloristen und Mythologen als unwissenschaftlich eingestuft wurde und sodann, ohne weiteren Schaden anzurichten, in den Büchereien vor sich hin verstaubte.

Porträt einer Person in Chewbacca-Verkleidung.
Hier riecht’s doch irgendwie seltsam, oder?

1977 erschien ein Film, in dem zwei weiße Männer und eine weiße Frau gegnerische weiße Nazis Männer bekämpfen und der Außerirdische am Ende keine Medaille bekommt, wahrscheinlich weil sein Fell nach Schaf riecht, wenn es feucht wird. Ganze vierzig Kinos fanden sich, die „Krieg der Sterne“ zeigen wollten, am Ende der zu oft erzählten Legende ist „Star Wars“ das vielleicht wichtigste Film-Franchise des 20. Jahrhunderts – für das 21. Jahrhundert möchte ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben.

George Lucas war plötzlich ein jugendliches Genie, das seinen Erfolg intellektuell verbrämen wollte, indem es behauptete, Joseph Campbells Buch wäre der Leitstern gewesen. (Heute, wo bekannt ist, dass Campbell ein misogyner, rassistischer Antisemit war, distanziert sich Lucas von seinem ehemaligen Mentor, vielmehr habe er das Buch erst lange nach der ersten Trilogie gelesen, so seine clevere Verteidigung.)

Weil das Werk grenzwertig unlesbar ist, folgte seine Berühmtheit erst in den späten Achtzigern mit zwei Dokumentationen im Fernsehen – interessanterweise kommt hier auch zum ersten Mal der Begriff „Heldenreise“ zur Anwendung, Campbell selber sprach vom Monomythos – ein Ausdruck, den er James Joyce gestohlen hatte.

„Ob wir mit Belustigung dem traumhaften Hokuspokus irgendeines rotäugigen Hexendoktors aus dem Kongo lauschen oder mit kultiviertem Entzücken Übersetzungen aus den Sonetten des Mystikers Lao-Tse lesen; hin und wieder die harte Nuss eines Arguments von Aquin knacken oder plötzlich die Bedeutung eines bizarren Eskimomärchens erfassen: Es wird immer die eine, formwandelnde und doch wunderbar beständige Geschichte sein, die wir finden.“

Um aufzuzeigen, wie wenig sinnvoll die Anwendung des Monomythos beim Erfinden von Geschichten ist, sollte ich ihn kurz umreißen. Hierzu bitte im Kopf behalten, dass Joseph Campbell behauptet, es handele sich um den Ur-Mythos, der für alle Kulturen und alle Zeiten gültig ist, weil dessen Archetypen das Unbewusste aller Menschen spiegelten. Ja, genau: C.G. Jung – danke für den Zwischenruf.

Das Ritzel eines Fahrrads, in das die Buchstaben "HERO" gegossen ist.
We don’t need another hero …

Der Held lebt im Normalen und erhält plötzlich einen Ruf zum Abenteuer, zu einer Reise ins Reich des Unbekannten, „immer ein Ort seltsam fließender und vielgestaltiger Wesen, unvorstellbarer Qualen, übermenschlicher Taten und unmöglicher Freuden.“ Erst will der Held den Ruf nicht hören, doch als er sich der Reise übergibt, erhält er die Hilfe eines übernatürlichen Mentors.

Es gilt nun den Wächter der ersten Schwelle zu überwinden, sich in den „Bauch des Wales“ zu begeben, um dort einen symbolischen Tod zu erleiden. Das ist wichtig, denn ohne Tod kann man schlicht nicht wiedergeboren werden. Der neugeborene Held begibt sich, mit Hilfe des Übernatürlichen, auf die Straße der „Prüfungen und Torturen“. Danach gilt es, eine „mystische Hochzeit“ zu begehen und mit der „Königin-Göttin“ der Welt … nun ja … Sex zu haben. Diese wird, nebenbei erwähnt, durch jede, ich wiederhole: jede Frau verkörpert.

Trotzdem erlebt er diese oder die nächste „Frau als Verführerin“, die ihn von der gewählten Route abbringen möchte, aber: nein, keine Zeit, die Unterwelt fehlt noch im Portfolio. Die Hälfte haben wir schon geschafft – ach, die Versöhnung mit dem Vater fehlt noch – aber machen wir lieber schnell weiter:

Es folgt die „Apotheose“, also die eigentliche Ver-Heldung des Protagonisten, der nun endlich den Gegenstand, das Wissen oder den „ultimativen Segen“ (boon) erhält, weswegen er sich ursprünglich zu dieser Reise überhaupt hatte überreden lassen.

Nächste Haltestelle: die Heimkehr nach NormalLand. Wieder gilt es innere oder äußere Widerstände zu überwinden, doch unweigerlich nähert sich das Muster, nach Überschreiten dieser letzten Schwelle, seinem Ende. Er ist nun ein anderer, ein freier Mensch, der seine segnende Weisheit mit den Ureinwohnern von NormalLand teilen kann.

„Das Individuum gibt durch langanhaltende seelische Selbstdisziplin jede Anhaftung an seine persönlichen Grenzen, Eigenheiten, Hoffnungen und Ängste vollständig auf, widersetzt sich nicht länger der Selbstvernichtung, die Voraussetzung für die Wiedergeburt in der Erkenntnis der Wahrheit ist, und wird so endlich reif für ‚das große Einssein‘. Nachdem seine Ambitionen völlig aufgelöst sind, versucht er nicht länger zu leben, sondern entspannt sich bereitwillig allem, was ihm geschehen mag; er wird, sozusagen, zu einer ‚Anonymität‘.“

Zwölf Betonplatten, die der Hausverkleidung dienen. Darauf die Piktogramme der zwölf Sternzeichen.
Wir Schützen glauben nicht an Astrologie

Das ist eine Reise mit 17 Stationen, die jede Erzählung in der Geschichte der Menschheit widerspiegelt. Campbell selber räumt in seinem Buch ein, dass nicht buchstäblich jede Geschichte alle Stufen enthält, dass einzelne Stufen oft bis zur Unkenntnis verkürzt oder ausgewalzt sind und dass die Reihenfolge manchmal verschoben ist.

Schon mit dieser Einschränkung gibt er den Anspruch der Universalität auf. Eigentlich handelt es sich, unter diesem Vorbehalt, nur um eine Liste von „Tropes“, die man verwenden kann. Oder auch nicht. Um diesen Bedeutungsverlust zu vermeiden, weicht Campbell die Beschreibung der einzelnen Stufen derartig ins Nebulöse, Nichtssagende auf, dass man damit per Copy und Paste auch Horoskoptexte verfassen könnte.

Inhaltlich fällt heute sofort ins Auge, dass diese Heldenreise frauenfeindlich, heteronormativ und ausschließlich individualistisch ist – ähnliche Vorwürfe, die man auch C.G. Jungs Werk machen kann. (Campbell hat wirklich gelehrt, dass Frauen keine Heldenreise vollbringen können. Ätschebätsch!)

Sein Lieblingsbeispiel in „The Hero with a Thousand Faces“ ist die Odyssee und tatsächlich weist sie alle 17 Stufen fehlerlos auf. Doch leider hat Campbell nach der Lektüre seinen Homer nicht weiterstudiert, denn die Ilias, als Gegenbeispiel, entzieht sich diesem Muster komplett. Kein Held, weit und breit. Es handelt sich eher um eine Beschreibung, wie sich kollektiv PTSD entwickelt. Ach, Achilles! Gut, aber hat der nicht lieber mit Patroklos als mit der Königin-Göttin …?

Heute haben wir Zugang zu Geschichten aus anderen Kulturen und ohne akademische Bildung fällt auf, dass Anime und Manga die Heldenreise nicht kennen, obwohl sie oft in Richtung westliches Publikum entwickelt sind. Die „vier berühmten Werke“ der klassischen chinesischen Literatur verweigern den individualistischen Helden. Für „Der Traum der Roten Kammer“ – das einzige dieser Bücher, das ich gelesen habe – findet sich im Deutschen oder Englischen nicht einmal eine zutreffende Synopsis, so wenig entspricht es westlichen Erwartungen.

Eine Fläche, in der viele Nägel in verschiedenen Neigungswinkeln eingeschlagen sind.

Campbells Monomythos taugt nicht zur Analyse, weil er zu vage, zu verschwurbelt und gleichzeitig zu komplex ist, um ihn auf jede Geschichte anwenden zu können. Es ist, als müsste man mit einem großen Satz Schraubenzieher einen Nagel in die Wand hauen. Geht schon zur Not, aber praktisch ist anders.

Noch weniger taugt er, aus den exakt gleichen Gründen, als verbindliche Struktur, um eine Geschichte zu entwickeln. Tatsächlich hilft auch keines der anderen Standardwerke, eine lebendige und fesselnde Erzählung zu verfassen.

Vielmehr stünden diese Bücher im Handel mittlerweile am besten in den Regalen der Selbsthilfebücher, die angehenden Erzähler*innen erklären, wie man erfolgreich seine Werke an das Publikum bringt. Betont ist dabei „erfolgreich“, ich sagte ja schon, dass Luke Skywalker die Schuld trägt und man kann über ihn sagen, was man will – zum Beispiel, dass er grüne Milch trinkt – aber Erfolg, den hatte er.

Außer der Odyssee gab es wahrscheinlich vor der Fernsehdokumentation über Joseph Campbell 1988 keine Geschichte, welche die 17 Stufen der Heldenreise verwendete. Nicht einmal „Star Wars“. Heute, nachdem Storytelling ein Buzzword ist und sich Bücher über das Schreiben von Büchern gut verkaufen, würden sich eine ganze Reihe von Werken finden, die auf Campbells Heldenreise basieren, allerdings wäre die Gegenliste immer noch um ein Vielfaches länger und enthielte die besseren Leseempfehlungen.

Der Monomythos ist sein eigener Mythos von einer Urgeschichte, einer Urstruktur des menschlichen Erzählens, die es nicht gibt. I’ll die on that hill!

Ein trauriger Cheeseburger und darunter sein Einwickelpapier.
Symbolbild langweiliger Cuisine

Eine Geschichte braucht nicht drei Akte, fünf Stationen, acht Kapitel oder siebzehn esoterische Stufen. Es muss nicht brav bei der 50%-Marke eine „neue Welt“ betreten werden und bei der 80%-Marke alles dem Untergang geweiht sein – Rezepte machen Geschichten nicht erfolgreich, sondern langweilig und ihre Rezeption beliebig.

Es fühlt sich an, als hätte man in Italien der Pizza abgeschworen, in Frankreich der Croissants, in Österreich der Sachertorte und in Deutschland … äh … es ist, als gäbe es überall stattdessen nur noch Cheeseburger. Warum auch nicht, hat ja Erfolg.

Und diesen Einheitsmatsch – ja, ich meine Dich, Cheesburger – wem verdanken wir den? Joseph Campbell? Nein, dessen Buch hätte ja zu Recht niemanden interessiert. Luke Skywalker! Genau. Gut aufgepasst.

Ich meine, ganz unter uns: Wer trinkt schon grüne Milch?

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