Not written by AI

LOAD „ZORK“, 8, 1 tippte ich, das Diskettenlaufwerk des C64 knirschte und ich konnte in das immersivste Text-Adventure eintauchen, das es 1984 für Home-Computer zu raubkopieren gab.

Screenshot eines C6-Systems, nur Text, ein Eingabefeld, keine Grafik. Geladen ist der erste Level des Textadventures "Zork III" von 1982.

Im November 2022 spielte ich ein Spiel mit dem profanen Namen „Text-Adventure-Game“ auf einer AI-Plattform (beta.character.ai). Die sogenannte künstliche Intelligenz analysierte meine komplexen Eingaben, die keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der starren Befehlsstruktur alter Spiele hatten, und erfand nebenbei ein individuelles Spiel für mich – nebenbei produzierte es dazu die passenden Grafiken.

Speziell ChatGPT, bei weitem nicht die einzige Open-Source-AI, hat in den letzten Monaten die Medien zu Prophezeiungen veranlasst. Wieder einmal stellte sich die Frage, wann der Computer den Menschen obsolet macht und Zielscheibe der Wahrsagerei waren dieses Mal die Schriftsteller*innen, Journalist*innen und die Copywriter des Internets.

„Wann erscheinen die ersten Bücher, die eine künstliche Intelligenz verfasst hat?“, war die Frage – dabei gibt es schon eine ganze Reihe von Werken bei Amazon zu finden. (Poetry about the Natural World, Sweet Dreams with Life Lessons, 13 Short Stories, The Singularity, The Pursuit of Laziness, Tales from the Robot Overlords, An Unusual Christmas Trip, Artificial Frights, Robotic Ruminations und zweihundert andere Beispiele, darunter auch das schöne Werk: „The Art of AI Writing: You can write and publish a book in 24 hours!“, geschrieben von der AI.)

Screenshot aus dem Amazon-Shop. Abgebildet ist das Cover eines Buchs mit den Namen "The Art of AI Writing". Untertitel ist "You can write and publish a book in 24 hours!". Als Autoren sind Sham Acumen und Jason Donnely genannt, das Taschenbuch kostet € 5,42

Mich persönlich beunruhigen die Texte, die ich bisher gelesen habe, nicht. Sicher, sie machen mehr Sinn als so manche Produktbeschreibung bei Amazon und speziell ChatGTP vermittelt den Eindruck, dass tatsächlich eine Art von Intelligenz antwortet, wenn man seine Anfragen eingetippt hat.

Doch die Anwendungen sind eben nicht intelligent. Es handelt sich um Programme, die eine unfassbar große Menge an Texten durch maschinelles Lernen analysiert haben und nun – im Gegensatz zur Rechtschreibkorrektur meines Telefons – sehr gute Schätzungen darüber abgeben können, welches Wort sinnvoll auf das vorherige folgt und welcher Satz auf den nächsten.

Seit ich mich mit Computern beschäftige, wird uns eine künstliche Intelligenz versprochen, doch bisher haben wir weder eine nutzbare Handschrifterkennung, eine sichere Spracherkennung, noch einen Übersetzungsdienst, auf den man sich verlassen kann.

Das Grundproblem besteht, dass die KI nicht über das sogenannte „Weltwissen“ verfügt, um tatsächlich die komplexen Zusammenhänge der menschlichen Kultur zu begreifen. Einen Teil dieses Weltwissens erben wir genetisch, ein anderer wird psychologisch über unsere Kultur vermittelt, den Rest eignen wir uns ein Leben lang per Versuch und Irrtum an. Maschinenlernende Programme wirken, als wären sie intelligent, aber die letzten 10% bis zur „Intelligenz“ sind anscheinend 90% der Entwicklung. Sprachverständnis, Übersetzen oder 100% autonomes Autofahren werden auf absehbare Zeit „kurz vor dem Durchbruch“ sein.

Allerdings dürfte ein Großteil der Texte im Internet auch keinen Anspruch auf Sinnhaftigkeit haben. Den geistlosen Unsinn, den unterbezahlte Copywriter ins Web tippen, um für ihre Kunden wichtige Keywords zu wiederholen, kann die KI schon jetzt verfassen. Es ist zu erwarten, dass wir bei Recherchen in Zukunft dem gleichen Unfug in kaum veränderter Form wieder und wieder begegnen.

Auch in der Trivialliteratur gibt es oft geringe Ansprüche an den Text. In den USA leben eine Menge Selfpublisher davon, ihre Bücher auf viele kurze Bände auszuwalzen und diese für 99 Cent exklusiv bei Amazon als eBook zu verticken – mehr Heftroman als Buch und in der Tradition von Pulp Fiction oder Penny Dreadfuls. Beliebt für dieses Modell sind die Genres Fantasy, Sci Fi, Romance und Crime. Diese Produkte entstehen schnell, ohne Lektorat, Korrektorat oder Überarbeitung, weswegen sie oft unerträglich schlecht sind. Masse statt Klasse.

Das ist ein Geschäftsmodell, welches Platz genug bietet für die KI. Die Erstellung der Texte, die Illustration, das Formatieren und Hochladen zu Amazon sowie die Werbung – alles lässt sich automatisieren. Hat der Autor erst einmal hunderte von Produkten im Angebot, werden sich immer Lesende finden, die für 99 Cent einen Versuch starten. Bücher als Spam.

Die einzige Definition von „Triviallliteratur“, die Sinn macht, ist: Triviales erfüllt eine Erwartungshaltung. Die Erzählerin heiratet den Bergdoktor, Perry Rhodan überlebt den fünfhundertsten Angriff einer Alienspezies, der Bauernbub besiegt den dunklen Lord und die tapfere Tochter der Brunnenvergifterin übersteht ihre Wanderschaft geläutert und weise.

Nicht-Trivialliteratur überschreitet unsere Erwartung, ist nicht vorhersehbar und verändert die Art und Weise, wie wir der Welt wahrnehmen. Der Roman als Literaturgattung hat uns gelehrt, dass Andere anders leben als wir, aber ähnlich empfinden. Damit hat er zur Humanisierung der Zivilisation beigetragen. „You think your pain and heartbreak are unprecedented in the history of the world, but then you read“, hat James Baldwin gesagt.

Menschliche Nicht-Trivialliteratur wird eine KI erst verfassen, wenn sie die Welt wie wir versteht, wenn sie bildlich Mensch geworden ist, das heißt: Liebe, Hass, Schmerz, Ekstase, Gewalt, Selbstlosigkeit und die berechtigten Ängsten vor Einsamkeit, unheilbaren Krankheiten und Schmerzen beim unvermeidlichen Tod.

Dann, allerdings, würde ich dieses Werk vielleilcht auch lesen wollen.

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