Paris, 1924. So hat man vor hundert Jahren dreifache Goldmedaillengewinner abgebildet. Wenig an diesem Foto entspricht den Ansprüchen heutiger Influencer-Selfies. Das Motiv ist fünf Grad aus dem Lot – zu wenig, um Absicht zu sein; zu viel, um professionell zu sein. Es ist nicht mittig. Die Sonne blendet den Porträtierten. Die Umkleidekabine im Hintergrund ist schäbig, niemand hat das hingeworfene Handtuch aufgeräumt. Es ist der Schnappschuss von einem Zwanzigjährigen, der vom Fotografiert-Werden überfordert ist.
Doch merken wir uns diesen Körper: So sahen vor hundert Jahren Athleten aus.
Auf dem Foto abgebildet ist Johnny Weissmuller, geboren 1904 als János Weißmüller. Er ist gerade in Paris allen davongeschwommen. Man ahnt im Foto noch den Schulabbrecher, der zehn Jahre zuvor von zu Hause abgehauen ist und sich als Piccolo und Liftboy durchgeschlagen hat. Er solle doch schwimmen, hatte der Arzt gesagt, sonst würde er keine Dreißig werden.
Das Gold stellt sein Leben auf den Kopf. Noch im selben Jahr schwimmt er in Berlin für den Film „Wege zu Kraft und Schönheit“. Eine junge Frau tanzt im gleichen Werk; sie heißt Leni Riefenstahl und wird die Art, wie unsere Kultur Sportler*innen abbildet, für immer verändern. Für die Nazis.
1925 bricht Johnny weitere Weltrekorde, 1928 holt er in Amsterdam noch zwei Mal Gold.
Der nächste große Schritt ist wieder der Film. Der bildhübsche Athlet verkörpert den König des Urwalds. Er ist nicht der erste Tarzan – das war Elmo Lincoln – und er ist nicht der letzte Tarzan – das ist, Stand 2022 – Tennyson Cooray aus dem indischen Film „Nathi Bari Tarzan“. Doch Johnny Weissmuller ist DER Tarzan.
Der sensationelle Erfolg von „Tarzan the Ape Man“ überrascht MGM. Er wird wohl daher rühren, dass dieser Film nicht nur exotisch und abenteuerlich war, sondern – für Männer und Frauen – voller Eros. Nicht nur, weil ein Mann, der dem damaligen Schönheitsideal mehr als nur gerecht war, 98% nackt durch den Dschungel plärrte, sondern auch, weil Maureen O’Sullivan – DIE Jane – angeblich bei einer Einstellung den Blick auf ihre primären Geschlechtsteile gewährte. So das Gerücht in den High Schools der USA.
Der Film erscheint acht Jahre nach dem melancholischen Foto aus Paris und der Zenit von Johnnys Karriere ist damit erreicht. Von nun an geht es, schleichend langsam, bergab. Er wird noch elf Mal den Tarzan darstellen, gegen Amazonen, Wüsten, Nazis, Leoparden und die Polizei von New York kämpfen und dabei verlässlich pro Film einmal plärren und einmal schwimmen. 1948 ist sein Körper nicht mehr ganz so athletisch und selbst RKO will keine weiteren Tarzanfilme.
Also mutiert er zu „Jungle Jim“ – das ist Tarzan, aber in der Sparversion, ohne Urheberrechte und mit mehr Textil. Dreizehn Filme unter diesem Label schließen sich an und eine Fernsehserie mit immerhin 26 Episoden. 1970 hat es sich aber ausgeplärrt und ausgeschwommen, Johnny ist 65 Jahre alt und die Studios wollen junges Blut und keine Opas im Lendenschurz.
Auch im Ruhestand tingelt Johnny durch die Fernsehstudios Europas und gibt Interviews, jodelt die unabgemischte Version seines Triumphgeschreis und kuschelt mit Schimpansen – alle Requisiteure hatten den gleichen originellen Einfall.
So macht in Deutschland noch einmal ein Interview Schlagzeilen, in dem es zu einem Eklat kommt – für uns, die wir durch das „Dschungelcamp“ gestählt sind, handelt es sich um eine Harmlosigkeit – damals gab es dafür Entlassungen.
Mitte der Siebziger beginnt eine Serie von Herzinfarkten und Schlaganfällen, die Johnnys Körper und seine Finanzen nachhaltig ruinieren. 1984 rafft ihn der letzte Schlaganfall hin. Begraben ist er in einem Reihengrab in Acapulco. Auf dem Grabstein steht: „Johnny Weismuller“ und darunter: „1904 – 1984“.
Er war sicher nicht gebildet, nicht überdurchschnittlich intelligent und ein weniger als mittelmäßig begabter Schauspieler, doch es gibt keine Frage: Johnny war DER Tarzan. Wer sonst? Lex Barker, Gordon Scott, Elmo Lincoln, Ron Ely, Christopher Lambert oder Alex Skarsgard? Nein.
Ich stelle mir vor, ich stehe neben dem Fotografen, 1924, in Paris. Das Shooting ist vorbei, Johnny bückt sich nach dem Handtuch.
„Johnny, möchtest Du zu einem globalen Sexsymbol werden?“
„Zu was?“. Er blinzelt im Gegenlicht.
„Berühmt und bewundert und für Abertausende ein Traum von einem Mann?“
„Das wäre schon etwas, oder?“, lächelt er.
„Dann schrei‘ mal, als ob Du der König des Dschungels wärst und gerade einen tollwütigen Löwen erwürgt hättest!“
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